27.08. - 30.10.2022
LOST PLACES
Vernissage: Samstag 27.08.2022 um 19:00 Uhr
geöffnet: Sonntags 14:00 - 18:00 Uhr und nach Vereinbarung
Über die Ausstellung
Wer sich aktuell durch die Fernsehkanäle zappt, wird oft über Dokumentationen mit dem Titel Lost Places stolpern. Ob Kabel1, NTV oder Phönix, alle beschäftigen sich mit verlassenen Orten und klären den Zuschauer über deren Schicksal auf. Dafür reisen die Reporter um die Welt und nehmen die Daheimgebliebenen mit an Orte, die teils exotisch, teils düster und teilweise sehr bizarr sind.
Dabei braucht es den Blick über die Mattscheibe nicht, um Lost Places zu entdecken. Die vergangenen Jahre seit Beginn der Pandemie hat ganz neue Orte geschaffen, die zeitweise zum Lost Place geworden sind. Kaum eine Branche hat unter den Lockdowns so gelitten, wie die Kulturbranche. Museen wurden geschlossen, Galerien durften keine Besucher mehr begrüßen und Künstler konnten ihre Kunst nicht mehr präsentieren. Ein kompletter Sektor wurde zum Lost Place, viele mussten um ihre Existenz bangen.
Nun endlich kann die Kulturszene langsam wieder nach Luft schnappen und beginnt vorsichtig, sich wieder zu öffnen und die Menschen wieder persönlich zu treffen. Doch die Lockdowns haben Narben hinterlassen, zu groß war und ist die Sorge, nicht mehr Fuß fassen zu können. Das Erlebte will und muss verarbeitet werden und das versuchen Die Künstler aus dem Atelier Kunstraum in den Solinger Güterhallen auf ganz unterschiedliche Weise.
Der Wunsch nach einer Gruppenausstellung bestand schon lange. Die gemeinsame Beschäftigung mit einem Thema sollte die Gruppe zusammenführen, aber auch gleichzeitig ihre Vielfältigkeit zeigen und darstellen. Das Thema Lost Places wurde bereits vor dem ersten Lockdown gewählt, erhält jedoch nach den Jahren 2020/2021 eine tieferliegende Bedeutung als ursprünglich geplant. Und so präsentieren acht Künstlerinnen und Künstler seit dem 27. August 2022 ihre Interpretation von Lost Places, persönlich, psychologisch, mit dem besonderen Blick auf Details, jeder mit seiner eigenen künstlerischen Betrachtungsweise.
Irmgard Stohlmann nimmt den Betrachter mit auf eine sehr persönliche Reise. Sie malt Orte, die sie selbst besucht hat, die für sie selbst eine besondere Bedeutung haben und für sie zum Lost Place wurden. Sehr nahegehend ist hier ihr Bild es eigenen Elternhauses. Mit dem eigenen Auszug begann die erste Abnabelung aus der vertrauten Umgebung. So lange die Eltern noch lebten, blieb das Haus als Rückzugsort bestehen. Nach dem Verlust der Eltern und dem Verkauf des Hauses ging dieser Ort jedoch verloren und ist heute für Irmgard Stohlmann ein Lost Place. Die Vertrautheit zu dem einstigen Zuhause ist fort und der Anblick ist auch nicht mehr einladend wie früher, zu viel hat sich verändert.
Doch nicht nur sehr persönliche Geschichten zeigt Irmgard Stohlmann in ihren Gemälden. Sie zeigt in ihren Bildern, dass sie einen Blick für spezielle Orte hat, die Verlassenheit und gleichzeitig Schönheit ausstrahlen. So wie das von Pflanzen überwucherte Auto, wie man es als bekanntes Fotomotiv im Neandertal findet. Oder die Ruine der Isenburg im Westerwald, die zum Teil verborgen im Nebel liegt und eine eigene Mystik ausstrahlt. Den Alvenslebenstollen hat Irmgard Stohlmann selbst erkundet und sich inspirieren lassen von den noch sichtbaren Erzadern, die die Geschichte de Stollens erzählen und von den vergangenen Tage berichten, als hier noch gearbeitet wurde und das Bergwerk voller Leben war. Darauf erst einmal einen Schnaps.
An die Arbeiter der vergangenen Tage erinnert auch Julia Krasovskaya in ihren Aquarellen. Im Bild „Take a sit“ präsentiert sie ein Licht und Schattenspiel, eine Komposition aus hell und Dunkel. Mittelpunkt des Bildes ist ein leere Stuhl, der in der Mitte des Raumes steht und durch den Lichtschein des Oberlichts beleuchtet wird. Es wirkt fast Theaterhaft, der Zuschauer wartet, dass das Stück beginnt und der Stuhl besetzt wird. Doch er bleibt verlassen, nur beleuchtet durch das wie ein Spot wirkende Licht. Es könnte eine Bühne sein, die hier dargestellt wird, oder eine alte Fabrikhalle, die Hell-Dunkelkomposition lässt viele Interpretationen zu. Der Stuhl lädt ein, sich zu setzen, den Raum wieder mit Leben zu füllen, doch er bleibt ein Lost Place.
Ähnlich ist es im Bild „Still waiting“. Julia Krasovskaya löst den Raum hier komplett in Farbe auf, gegenständlich bleiben nur ein paar alte Schuhe, welche die Mitte des Bildes füllen. Es sind Arbeiterschuhe, robust, solide, das Leder zeigt, das sie oft getragen wurde. Doch sie sind zurückgeblieben, werden nicht mehr genutzt, die Schnürsenkel fehlen. Warum sie zurückgelassen wurden überlässt die Künstlerin der Interpretation des Betrachters. Ging der Besitzer in Rente, hat er seine Arbeit verloren, diese Fragen werden nicht beantwortet. Zurück bleiben die verlassenen Schuhe, die auf diese Weise auch zu einem Lost Place werden.
Eine ganz andere Interpretation von Lost Places zeigt Sylvia Knust-Schubert in ihren Bildern. Sie beschäftigt sich weniger mit Orten und Gegenständen, als mehr mit der inneren Verlorenheit, mit Gefühlen und Gefühlszuständen. Anders als die Bilder von Irmgard Stohlmann und Julia Kraskovskaya wirken ihre Bilder surreal, Formen und Farben verschwimmen und lassen dem Betrachter viel Platz für eigene Interpretationen.
Das Bild „Vogelfrei“ zeigt einen Vogelschwarm vor einem pinken Hintergrund. Es wirkt wie eine Momentaufnahme, unscharf durch den Flügelschlag der Vögel und doch deutlich als Vogelschwarm erkennbar. Der fliegende Vogel wird oft als Metapher für die Freiheit der Gedanken genutzt. Der Vogelschwarm ist hier als die Vielzahl der Gedanken interpretierbar, in der wir selbst oft verloren gehen können. Der eigene Kopf als Lost Place.
Die mentale Verlorenheit zeigt sich auch in Sylvia Knust-Schuberts Bild „Floating“. Es stellt Tänzer dar, die sich ganz der Musik hingeben und dabei bildlich den Boden unter den Füßen verlieren und sich im Fluss der Musik und des Tanzes treiben lassen. Eine Ähnlichkeit mit den fließenden Uhren Salvator Dalis wird sichtbar. So wie bei ihm die Zeit bildlich fließt und verrinnt, so fließen Sylvia Knust-Schuberts Tänzer im Rhythmus der Musik und verlieren sich auf mentale Weise in der Bewegung. Auch in „Lost in Paradies“ wird das surreale verschwimmen der Farben deutlich. Die Landschaf löst sich auf und wird zu einem Farbenrausch, in dem der Betrachter sich verlieren kann.
Auch Lara Leon-Ser beschäftigt sich auf der mentalen Ebene mit Lost Places. Sie arbeitet jedoch wieder gegenständlich und schafft Orte mit einer eindringlichen Farblichkeit und Intensität. Die Orte, die sie darstellt wirken verloren, die gezeigten Personen untermalen diesen Eindruck. Ein leer wirkender Raum mit einem hölzernen Esel, der vor einer angelehnten Tür steht, die nirgendwo hinführt. Statt ein Ein- oder Ausgang zu sein, ist die Tür lediglich ein an die Wand gelehnter Gegenstand, der nicht zu gebrauchen ist. Ein Mädchen sitzt alleine am Bahnhof, der Bahnhof ist verlassen, die Hände des Mädchens sind leer, genauso wie der Bahnsteig und die Gleise. Eine alte Frau hockt vor einem Berg Säcke, neben ihr steht eine Frau im Brautkleid, der Hintergrund beginnt sich aufzulösen. Das Besondere, die Frau schaut den Betrachter direkt an. Eine Bitte um Hilfe, ein Vorwurf, eine Anklage, die Fragen lässt Lara Leon-Ser offen. Sie benutzt ihre Bilder als Metaphern für die innere Verlorenheit. Anders als bei Sylvia Knust-Schubert, wo die mentale Verlorenheit auch eine Art der Entspanntheit und des Wohlgefühls mitbringt, ist der seelische Zustand in Lara Leon-Sers Bildern bedrückend und beängstigend. Doch die Künstlerin zeigt auch einen Weg aus der Verlorenheit. Ihre große Leinwand zeigt in einem zarten Rosa eine verlassene Fabrik, im Vordergrund eine Statur und ein Geländer, auf das sich eine Hand legt. Orte müssen niht verloren gehen, die Hand symbolisiert die Tatkraft diesen Zustand zu ändern, anzupacken und etwas neues aus dem Lost Place zu schaffen.
Auf eine besondere Suche nach Lost Places hat sich Carla Froitzheim gemacht. Via Geocaching hat sie das Ruhrgebiet erkundet und viele verschiedene Orte entdeckt, die von besonderer Schönheit sind. Die rostigen, teils bewachsenen alten Zechen nutzt Carla Froitzheim als Motiv für ihre großflächigen Aquarelle. Mit groben Strichen, großem Pinsel und kräftigen bunten Farben bringt sie die Rohre und Verstrebungen auf ein Format von zwei Meter Höhe. Dabei setzt sie geschickt die Technik des Aquarellierens ein und bringt so den Charakter des Verfalls aufs Papier.
Carla Froitzheim bewegt sich hier in der Tradition der Fotografen Bernd und Hilla Becher, die mit ihren Fotografien dem Ruhrgebiet in den 70er Jahren ein Denkmal setzten. Anders als die Bechers bleibt Carla Froitzheim jedoch nicht auf Abstand, sondern geht nah ran und zeigt in ihren Bildern Detailansichten der Rohre und Verstrebungen. Auf diese Weise entsteht eine neue Ansicht, die den Ort in einem neuen Licht scheinen lässt.
Eine ganz andere Sicht auf Lost Places zeigt JuliEtta in ihrem Bild. Sie spielt mit dem Betrachter, der auf den ersten Blick eine Qualle im weiten offenen Ozean erkennt. Wer jedoch genauer hinschaut stellt fest, die Qualle ist nicht lebendig, sondern ist eine Plastiktüte, in der sich Geisternetze verheddert haben. Die Künstlerin versucht mit diesem Bild darauf aufmerksam zu machen, dass Orte nicht nur durch das Verlassen zu Lost Places werden, sondern, dass wir sie auch durch Gedankenlosigkeit und Unachtsamkeit zerstören können und einen verlassenen Ort zurücklassen. Gerade die Meere sind aktuell in der Gefahr zu Lost Places zu werden. JuliEtta versucht durch ihre Bilder den Blick auf diesen Zustand zu lenken, um genau dieses zu verhindern.
Anders als die Künstlerinnen der Gruppe, hat sich Norbert Sarrazin nicht mit der Malerei beschäftigt, sondern zeigt Lost Places in schwarz-weißen Fotografien. Dabei stellt er unterschiedliche Räume gegenüber, die Tageszeitabhängig zu Lost Places werden. Auf der einen Seite präsentiert er drei Fotografien des „klassischen“ Lost Place, eine verlassene Fabrikhalle, hell erleuchtet durch das Licht, das durch die zerstörte Decke dringt, eine Halle, die nur durch die Fenster erhellt wird und, ähnlich wie Julia Kraskovskaya, ein paar zurückgelassene Arbeitsschuhe. Diesen Bildern gegenüber stellt er drei Fotografien einer Kirmes. Jedoch nicht voller Besucher und bunt beleuchtet, sondern früh morgens. Die Fahrgeschäfte sind noch geschlossen, die Rollläden sind runter gezogen, die Lichter noch aus. Norbert Sarrazin zeigt in diesen Fotografien, dass Lost Place keine Dauerzustand ist, sondern auch abhängig davon sein kann, wann man die Orte besucht. So wird ab dem Nachmittag auf einer Kirmes keinen verlassenen Ort mehr finden.
In seiner großformatigen Fotografie schlägt Norbert Sarrazin den Bogen nach Solingen und präsentiert den Lichthof der Gesenkschmiede Hendrichs. Ein Ort, der nach seiner Schließung nicht, wie viele andere Fabriken ihrer Art, zu einem Lost Place wurde, sondern den findige Museumsmacher zu einem Stück Zeitgeschichte werden ließen und in einem Industriemuseum vor dem vergessen bewahrten.
Peter
Auch Peter Wischnewski hat sich mit der Fotografie beschäftigt und sein Motiv auf der Hunderunde gefunden. In einem verwachsenen Busch ist noch ein Teil einer Bank zu erkennen. Auf der auf Leinwand aufgezogenen Fotografie kann man auf diese Weise eine Phase des Verschwindens beobachten. Peter Wischnewski erzählt, dass er dieser Bank schon seit längerem beim „Verschwinden“ zuschaut. Sicher ist, dass die Bank in den nächsten Jahren vollständig durch die Natur eingenommen wird und zu einem Lost Place wird.
Hier zeigt sich die Macht der Natur, die, wie auch die vielen Fernsehdokumentationen zeigen, nach dem Weggang des Menschen ihr Reich zurückerobert. Und so auf ihre Weise einen Lost Place wieder zu einem lebendigen Ort werden lassen.
Okt. 2022, Julia Krumpen